Abschied und Neubeginn: Nach mehr als 18 Jahren verlässt LZT-Leiter Franz-Josef Schlichting die Landeszentrale
Mit Wirkung vom 1. Februar 2023 wird Herr Schlichting in der Staatskanzlei die Funktion des Beauftragten für Kirchen- Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und die damit verbundene Leitung des Referats Kirchen- Religions- und Weltanschauungsangelegenheiten, Staatskirchenrecht übernehmen. Aus diesem Anlass ein kurzes Gespräch mit ihm:
Wie sehen Sie der neuen Aufgabe entgegen?
Ich freue mich auf die neue Herausforderung, die mir als Theologe noch einige Jahre die Möglichkeit gibt, verstärkt in meinem ursprünglichen Themengebiet zu arbeiten. Zur Arbeit in der LZT gibt es übrigens eine Reihe Bezugspunkte; ich kann vielfältige Erfahrungen für die künftige Aufgabe mitnehmen.
Beispielsweise haben wir gemeinsam mit dem Islambeauftragten des Bistums Erfurt über viele Jahre hinweg Workshops für muslimische Gemeindevorstände durchgeführt und in zahlreichen Orten Thüringens „Islamreihen“ angeboten. Mit dieser mehrteiligen Vortrags- und Gesprächsreihe, die wir im letzten Sommer abgeschlossen haben, waren wir in allen Orten mit inzwischen relevanter muslimischer Präsenz zu Gast. Judentum, jüdisches Leben und Kultur sowie das Themenfeld Antisemitismus waren und sind andauernde Schwerpunkte der Arbeit der LZT. Die kirchlichen Bildungswerke bzw. Akademien sind wichtige Kooperationspartner. Mit ihnen wurden wiederholt auch kirchlich-religiöse Fragestellungen von gesellschaftlicher Relevanz aufgegriffen.
Wenn Sie auf den Beginn Ihrer Arbeit im September 2004 zurückblicken – welche signifikanten Unterschiede zur heutigen gesellschaftlichen Situation stellen Sie fest?
Die politisch-gesellschaftliche Situation war weniger komplex, befriedeter und die Herausforderungen und Probleme schienen politisch gestaltbar. Dieser Zukunftsoptimismus ist spürbar geschwunden. Corona, die Klimakrise, der russische Krieg gegen die Ukraine und die erfahrbare Tatsache, dass Demokratien aus sich heraus zugrunde gehen können, stellen neue Dimensionen dar und verändern das gesellschaftliche Klima und die Stimmungslage. Freilich gibt es Kontinuitäten. Bestimmte Entwicklungen waren absehbar und schon seinerzeit angelegt. Soziale Medien spielten damals nahezu keine Rolle. Heute dominieren sie nicht nur unsere Kommunikation, sondern häufig nahezu den gesamten Alltag – mit vielfältigen, drastischen positiven wie negativen Folgen für uns alle.
Und in der politischen Bildung?
Auch hier sind Soziale Medien ein Stichwort. Sie sind nicht nur zu einem unverzichtbaren Instrument für die politische Bildung geworden, sondern in ihren Wirkungsmechanismen und mit ihren gesellschaftlichen Folgen (z.B. Radikalisierung) auch zu einem Thema. Entsprechende Medienbildung ist unverzichtbar. Leider konnte die dafür unsererseits vorgesehene Referentenstelle „Politische Bildung Online“ noch nicht besetzt werden. Erschwert wird politische Bildung und Kommunikation durch ein zunehmendes Maß an Irrationalität und aggressivem Weltverhältnis. Die politische Bildung selbst muss darauf achten, gesinnungsethischer Moralisierung politischer Fragen zu vermeiden und ideologischen Aktivismus zu unterlassen. Anstatt zu belehren, sollte sie werbend demokratische Werte vermitteln und ergründen helfen, warum bestimmte Einstellungen sich ausprägen. Eine wichtige Erkenntnis aus einem Thüringen-Monitor ist beispielsweise, dass 63% der Bevölkerung meinen, dass sich heute so viel ändere, dass man nicht mehr wisse, woran man sich halten soll. Diese Modernisierungsskepsis ist ein wichtiger Erklärfaktor für bestimmte Einstellungen. Im Osten ist sie stärker ausgeprägt, was nicht verwunderlich ist.
Was hat Ihnen in der Arbeit besondere Freude gemacht?
Vieles, aber explizit nennen möchte ich die politisch-historische Bildung – speziell im mir zugeordneten Themenfeld DDR-Geschichte/SED-Diktatur.
Zahlreiche spannende und relevante Themen und Geschichten – z.T. mit besonderem regionalem Bezug - haben wir behandelt und publiziert und sind damit auf viel Interesse gestoßen bei Jung und Alt.
Geschichte bietet ein großes Reservoir für Demokratie- und Menschenrechtsbildung - vor allem dann, wenn man historische Geschehnisse in ihrer Prozesshaftigkeit und Kausalität ergründen kann.
Ebenso gilt das für individuelle Entwicklungsprozesse geschichtlicher Akteure – also für das biografische Lernen. Eine besondere Freude war das Geschichtslernen mit aufgeschlossenen, interessierte Jugendlichen. Ein reflektiertes, kritisches Geschichtsbewusstsein ist eine wichtige Stütze einer demokratischen Kultur.
Was erwartet Sie in Ihrer neuen Aufgabe?
Grundsätzlich alle Angelegenheiten von Kirchen und Religionsgemeinschaften, die das Verhältnis zum Staat betreffen bzw. eine besondere gesellschaftliche Relevanz haben. Konkret steht als große Aufgabe für den Freistaat die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen an. Derzeit wird auf Bundesebene ein Grundsätzegesetz erarbeitet, nach dessen Maßgabe die Länder dann tätig werden können und müssen. Ein entsprechender Auftrag resultiert nicht nur aus unserer Landesverfassung, sondern schon aus dem Grundgesetz, das wiederum damit die Weimarer Reichsverfassung fortschreibt.
Vermutlich werden neben den Kirchen und der Jüdischen Landesgemeinde zunehmend Anliegen von Muslimen bzw. muslimischen Organisationen eine Rolle spielen.
Aber auch ganz grundsätzlich ist das Thema „Religion“ trotz zurückgehender Kirchenmitgliedschaft für Staat und Gesellschaft bedeutungsvoll und keineswegs von abnehmender Relevanz. Beispielsweise möchte ich hinweisen auf Harmut Rosa (einen der renommiertesten deutschen Soziologen und Direktor des Erfurter Max-Weber-Kollegs) und seine aktuelle Schrift „Demokratie braucht Religion“. Interessanter Weise würdigt gerade der Atheist Gregor Gysi in seinem Vorwort zum Buch die im Buchtitel komprimierte These von Rosa.
Die Landeszentrale dankt Herrn Schlichting für seine langjährige engagierte und profilbildende Arbeit und wünscht ihm für die neue Aufgabe alles Gute!
Seine Nachfolge ist noch offen; wir informieren dazu zu gegebener Zeit auch im Newsletter.